13 Reasons why – Meine persönliche Geschichte

 

Heute verfasse ich wohl den persönlichsten Text, den ich jemals auf meinem Blog veröffentlicht habe. Ich spreche über Dinge, die nur die wenigsten von mir wissen. Und Dinge, die vielleicht keiner weiß. Aber auch über Vorkommnisse von denen viele wissen, aber trotzdem weggeschaut haben. Es ist etwas, das mir sehr am Herzen liegt und das einfach ausgesprochen werden muss.

 

 

13 Reasons why. Soeben habe ich Staffel zwei, Folge 4, beendet. 13 Reasons why oder auch „Tote Mädchen lügen nicht“ ist ein Roman von Jay Asher und eine Netflix-Serie, die 2017 erschienen ist. Sie handelt von der Schülerin Hannah Baker und ihrem Weg in den Suizid. In der ersten Staffel der Serie benennt sie die 13 Gründe, die sie zu ihrem Handeln bewegt haben. Diese sind unter anderem freizügige Bilder, die ohne ihr Einverständnis in der Schule verbreitet werden, das Gefühl von Isolation, sexuelle Belästigung, Lästereien und Mobbing. Für mich ist diese Serie sehr nah an der Realität, denn auch zu meiner Schulzeit ging es ähnlich zu.

Ich war schon immer jemand, der nie „so richtig“ dazu gehört hat. Das war schon in der Grundschule so und hat sich auch die ganze Schullaufbahn nicht geändert. Das ist auch okay und ich mag es sogar, unabhängig zu sein. Mit den Jahren bin ich daran gewachsen und heute kann ich sagen ich bin stolz darauf, dass ich mein Ding durchziehe und was andere denken und reden, ist mir (meistens) herzlich egal. Doch dieses gesunde Selbstbewusstsein hatte ich nicht immer.

Mit ca. 13 Jahren hatte ich meine „Emo-Phase“, wenn man das so nennen kann. Ich malte mir meinen Kajal doppelt so dick unter die Augen, trug meinen Pony so seitlich wie möglich und färbte mir „Coontails“ in die Haare. Ich hatte schon vorher nur wenige richtige Freunde und habe nach etwas gesucht – einer Community von Gleichgesinnten – die mich aufnimmt. Tatsächlich kannte ich selbst nur wenige solcher „Emo’s“. Die meisten Vorbilder nahm ich aus dem Internet – zu der Zeit hauptsächlich Schüler VZ und Myspace. Sie alle hatten das Gefühl, nicht dazu zu gehören und es war schön zu sehen, dass es auch anderen so geht. Die Schule wiederum war eine ganz andere Welt.

 

 

Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wie es angefangen hat. Ich glaube mit einem Streit mit meiner damaligen besten Freundin. Sie hing schon immer mit den „coolen“ Mädels ab und denen hat es irgendwann wohl nicht mehr gepasst, dass ich im Weg war. Also redeten sie auf sie ein und so kam es, dass sie eines Tages erstmal nichts mehr mit mir zutun haben wollte. Eines führte zum anderen und die Lästereien bauschten sich auf. Erst waren es nur Blicke. Nach ein paar Wochen dann doofe Kommentare, wenn ich den Raum betrat und lautes Flüstern über mich und meinen Aufzug. Ich habe versucht, das Ganze zu ignorieren, doch mit mir hatte sich wohl ein spannendes Opfer gefunden. Aus 3 Personen wurden 5, dann 8, dann mehr. Die Kommentare wurden mit den Monaten lauter, in der Mensa wurde bewusst in Hörweite über mich gelästert, ich wurde weiter ausgegrenzt und im Unterricht wurde ich nachgeäfft, wenn ich mich gemeldet und etwas gesagt habe. Ich habe die Leute darauf angesprochen doch, wie auch zu erwarten war, fanden die es eher lustig. Ich habe auch versucht mich einer Lehrerin anzuvertrauen. Aber die sagte – und das werde ich nie vergessen – „Aber das sind doch so liebe Mädels, ich glaube da übertreibst du etwas. Das kann ich mir nicht vorstellen“. Und ich weiß, dass auch die Lehrer ganz genau das Nachäffen im Unterricht gehört haben. Und so ließ ich es über mich ergehen. Wie es eben zur Pubertät ist, hatten auch meine Mutter und ich zu der Zeit nicht die engste Bindung und so erzählte ich auch ihr nicht vom Ausmaß der Lästereien. Der Vogel wurde abgeschossen als ich eines Tages in den Unterricht kam, und sich die anderen Schülerinnen die Haare für einen Tag wie meine Frisur gestyled haben, nur völlig übertrieben, und sich über jede meiner Bewegungen und Aussagen amüsiert haben. Online ging es weiter. Ich bekam monatelang Nachrichten von „Fake-Accounts“ wie „geh dich doch endlich umbringen, das wäre für uns alle eine Erleichterung“ oder „du bist so hässlich, da kann man nur über dich lachen“.

Zu der Zeit war ich emotional nicht in der stärksten Verfassung – wer ist das schon, in der Pubertät? Ich bin mir im Nachhinein sicher, dass ich – zumindest eine Zeit lang – Depressionen hatte. Ich vertiefte mich in meine Lieblingsmusik und meine düsteren Gedanken und weinte ständig. Und ähnlich wie bei 13 Reasons why schrieb ich einen Brief an all die Leute, die mich bis hierhin getrieben haben. Zum Glück konnte ich diesem ganz tiefen Loch wieder entkommen, aber die anderen Gefühle waren noch da. Rausgeholt hat mich zu der Zeit eine tolle Freundin, die mich gelehrt hat, mich selbst zu mögen. Auch über sie gingen von ein paar Leuten Gerüchte wie „Schlampe“ umher, die sie gar nicht zu interessieren schienen. Mit ihr konnte ich wachsen und erkennen, was für Idioten die anderen Schüler sind und dass ich mir selbst immer wichtig bleiben muss.

 

 

Aber auch ein anderes Phänomen konnte ich an der Schule beobachten, welches mich nicht persönlich betroffen hat: Slut-Shaming. Nacktbilder von Schülerinnen wurden von den Jungs getauscht wie Panini-Bilder. Es gab heimlich geschossene Bilder aus Umkleiden aber auch Nacktfotos, die vom Handy geklaut und verbreitet wurden. Und ich rede hier nicht von 2-3 Fällen, sondern von mindestens 8 oder mehr. Es gab sogar eine Website „Peiner Schlampen“, auf der solche Fotos aus dem Landkreis ohne das Wissen der Mädchen online zugänglich gemacht wurden. Einen Vorfall werde ich nie vergessen. Das Nacktfoto einer Mitschülerin wurde während des Unterrichts (der Lehrer war kurz aus dem Raum) mit dem Projektor an die Wand gestrahlt. Danach musste sie sich, soweit ich es gehört habe, mit ihren Eltern vor der Direktorin verantworten, was ich fast noch demütigender finde. Was aufgrund dieser Bilder noch passiert ist, möchte ich gar nicht wissen.

 

 

Was ich mit diesem Text eigentlich aussagen möchte ist: Es passiert wirklich. Ich habe Gespräche mit Leuten geführt, die die Serie „total übertrieben“ finden und für die so etwas fernab jeglicher Realität ist. Und ich muss sagen, ich freue mich für sie! Doch nicht jeder hatte eine einfache und „reibungslose“ Jugend. Ich glaube auch, dass das Thema durch Social Media noch schlimmer und akuter denn je wird. Es gibt sicherlich so viele Schüler, die etwas erlebt haben und eine Geschichte haben, die sie nicht erzählen. Und ich weiß dass es so viele gibt, die weggucken. Aber auch wenn meine Schulzeit schon seit 5 Jahren vorbei ist möchte ich euch bitten: haltet eure Augen auf. Redet miteinander. Erkundigt euch, wie es dem anderem wirklich geht, habt ein offenes Ohr und steht für Menschen ein, die sonst für sich alleine kämpfen. Zeigt ihnen, dass auch sie wichtig sind.

 

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1 Kommentar

  1. Julia
    Juni 12, 2018 / 8:12 am

    Liebe Michelle 💗
    Wow! Das hast du sehr schön geschrieben und ich bin stolz auf dich, dass du so offen mit dem Thema umgehst.
    Du hast dich zu so einer starken und selbstbewussten Frau entwickelt in den letzten Jahren und es war sehr schön diesen Wandel beobachten zu können 😊 Und so unangenehm dieses Verhalten deiner (wahrscheinlich neidischen) Mitschüler war, desto mehr hat es dich (im positiven Sinne) zu der Frau gemacht, die du heute bist! Ich glaube auch, dass dieser Beitrag dir selbst hilft damit abzuschließen und bin mir sicher, dass die Leute von damals heute etwas beschämt auf ihr Verhalten zurück schauen.
    Ich freue mich auf viele weitere Jahre mit dir!
    Deine Julia 😊

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